Vertrag
Karl Hörmann
Lexikon der christlichen Moral

LChM 1969, Sp. 1299-1302


1. Vertrag (lat. contractus) nennen wir das Übereinkommen zweier od. mehrerer über die Übertragung eines Rechtes (vgl. Gerechtigkeit), z.B. des Eigentumsrechtes (der V. zählt zu den Rechtstiteln des Eigentumserwerbs, u. zwar zu den abgeleiteten Titeln, da das Recht des Erwerbenden v. dem eines Vorgängers hergeleitet wird; vgl. Eigentum).


2. Nach natürl. Grundsätzen ist ein V. gültig, wenn sich vertragsfähige Personen über einen geeigneten Gegenstand gegenseitig einigen.


a) Geeigneter Gegenstand (res apta) eines V.es ist alles, was der Herrschaft des Menschen untersteht, nicht nur Sachen, sondern auch persönl. Leistungen.

Über Sachen kann ein gültiger V. nur zustandekommen, wenn sie wenigstens im Keim vorhanden sind (z.B. ein Buch, das zu schreiben man fähig u. gewillt ist) u. wenn der Anbietende darüber das Verfügungsrecht hat.

Persönl. Leistungen können Gegenstand eines gültigen V.es nur werden, wenn sie mögl., sittl. einwandfrei u. nicht um des Gemeinwohls willen verboten sind.


b) Vertragsfähig (personae habiles) sind v. Natur aus alle Personen, die den Vernunftgebrauch haben u. erfassen, was sie mit dem V.sabschluß tun. Das trifft auch auf moralische (juristische) Personen zu, die durch physische Personen mit Vernunftgebrauch vertreten werden. Das positive Recht schränkt die Rechte der Personen, die v. einem Vater, Vormund od. Kurator abhängen, ein; solche Vorschriften sind wegen des Gemeinwohls zu beobachten.


c) Nur die Willenseinigung (consensus) der V.spartner läßt einen gültigen V. zustandekommen. Der eine tritt ein Recht ab, über das er frei verfügen kann; er betätigt die freie Verfügung darüber eben im Abtreten, u. es ist innerhalb der vom V. gezogenen Grenzen sein letztes Verfügen darüber; dieses freie Verfügen ist ein Tun seines Willens. Der andere nimmt ein Recht an, über das er v. nun an innerhalb der V.sgrenzen frei verfügen kann; das erste freie Verfügen geschieht schon durch die Annahme, die daher ebenfalls ein Tun seines Willens sein muß.

Daraus ergibt sich, daß die Willenseinigung wirkl. aus der freien Entscheidung entspringen muß (menschl. Akt); daß es sich um eine wahre Willensentscheidung handeln muß, nicht nur um ein Jasagen zum Schein; daß sich der V.swille der Partner auf denselben Gegenstand beziehen muß; daß er gleichzeitig da sein muß, d.h., daß der erste seine Zustimmung nicht zurückgezogen haben darf, wenn der zweite sie gibt, wobei der Anbietende natürl. die Geltung seines Antrages befristen kann. Endl. muß der V.swille sinnl. wahrnehmbar geoffenbart werden, weil es sich beim V. um ein Geschäft zwischen zwei Menschen handelt, die nur auf dem Weg über die Sinne miteinander in Verbindung treten können; der Natur der Sache nach würde dazu jedes äußere Zeichen genügen, das geeignet ist, Zustimmung auszudrücken; das positive Gesetz fordert zur Vermeidung v. Streitigkeiten oft eine bestimmte Form des V.sabschlusses, meist durch das gesprochene od. geschriebende Wort.

Die Zustimmung zum V. leidet an einem Mangel, wenn dabei der menschl. Akt beeinträchtigt ist, also wenn die Zustimmung durch Unwissenheit od. Irrtum veranlaßt od. mit Gewalt od. Drohung herbeigeführt wird.

Der V.schließende kann über einzelne V.selemente in Irrtum sein, d.h. v. ihnen falsche Auffassungen haben (Unwissenheit wirkt sich ähnl. aus; wir dürfen uns daher auf die Erörterung des Irrtums beschränken). Wenn sich der Irrtum auf Wesentliches (das Wesen des abzuschließenden V.es od. des V.sgegenstandes; die Identität des Partners; eine Eigenschaft des Gegenstandes od. des Partners, auf die es dem V.schließenden besonders ankommt) bezieht, läßt er keinen gültigen V. zustandekommen; ein unwesentl. Irrtum jedoch beeinträchtigt die Gültigkeit des V.es nicht.

Ein V.abschluß, der durch absolute Gewalt herbeigeführt wird, ist nicht gültig, da er in keiner Weise aus dem Wollen des Menschen hervorgeht.

Wenn ein Mensch einen V. aus einer Furcht geschlossen hat, die seine Sinne vollkommen verwirrte, ist dieser V. ungültig, weil er nicht durch freie Entscheidung zustandekam. Wenn jemand zwar unter dem Einfluß von Furcht steht, aber doch überlegend den V. wählt, u. dadurch dem gefürchteten Übel zu entgehen, ist er frei entscheidend tätig, da er eben zwischen dem V. u. dem Übel wählt; der V. ist daher naturrechtl. gültig. Das kirchl. Gesetz anerkennt seine Gültigkeit selbst für den Fall, daß sich jemand zum V.sschluß durch schwere Furcht bewegen läßt, die der Partner durch ungerechte Drohung hervorgerufen hat (metus gravis et iniuste incussus, CICc. 103 §2). Da aber dem Bedrohten ein Unrecht angetan wurde, hat er auf Wiedergutmachung Anspruch. Das Unrecht wird ihm am besten durch Befreiung v. der V.spflicht gutgemacht, falls ihm diese lästig ist. Das Kirchenrecht erklärt daher, daß ein solcher V. v. dem Partner, der bedroht wurde, od. v. Amts wegen angefochten werden kann (CICc. 103 §2). Furcht macht den V. nicht anfechtbar, wenn die Drohung, durch die sie hervorgerufen wird, nicht ungerecht ist, od. zwar ungerechterweise, aber nicht vom V.spartner od. mit seiner Zustimmung verübt wird, od. wenn die Furcht nur leicht ist.


3. Jeder gültige V. erzeugt die Gewissenspflicht der Einhaltung (für die internationalen Beziehungen besonders betont v. Pius XII., UG 58 275 619 3588 3594-96 3600 3656 3796 [DRM III 419, XIII 162, II 40 f 350, IX 346 f, X 160 f, I 439 f, III 328 f]; Johannes XXIII., PT 118, AAS 1963,289; 2. Vat. Konz., GS 82). Sie ist eine Pflicht der Gerechtigkeit (iustitia commutativa), da die vertragl. Abmachung dem Partner ein Recht auf die vereinbarte Leistung gibt.

Der V. verpflichtet nicht nur zu dem, was ausdrückl. in ihm festgelegt wird, sondern auch zu dem, was nach der Natur des Vertrages od. nach der Gesetzesregelung od. nach der Gewohnheit in ihm enthalten ist. Auch alle Klauseln müssen eingehalten werden, denen der V.schließende zugestimmt hat.

Wenn die Gültigkeit des V.es v. einer Bedingung abhängig gemacht wird, tritt erst mit deren Erfüllung die Gewissenspflicht ein.

Aus der Nichterfüllung des V.es kann die Pflicht entspringen, die dem Partner entspringenden Schäden gutzumachen (Wiedergutmachung).


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