Menschenrechte
Karl Hörmann
Lexikon der christlichen Moral

LChM 1976, Sp. 1029-1034


I. Der Mensch ist von Gott als Person ins Dasein gerufen, d.h. als selbständiges Einzelwesen, das durch seine geistige Natur befähigt u. beauftragt ist, sein Leben verantwortl. selbst zu gestalten (Sittlichkeit). In dem vom Menschen selbst frei zu verwirklichenden einmaligen Eigenwert liegt seine Würde. In ihr wurzeln seine wesentl. Pflichten u. Rechte: Er ist verpflichtet u. berechtigt, seine Bestimmung zu erfüllen, daher auch verpflichtet, sich um all das umzusehen u. all das zu leisten, u. berechtigt, all das zu erhalten u. zu haben u. all das zu tun, was zur Erfüllung dieser Aufgabe notwendig ist. Es gibt M., die dem Menschen von Natur aus, schon durch sein Menschsein, nicht erst durch menschl. Gesetz, zukommen.


1. In wechselnder Zahl wurden M. als Grund- od. Bürgerrechte in den Verfassungen vieler Staaten (z.B. im österr. Staatsgrundgesetz von 1867 u. im Grundgesetz der BRD) anerkannt. Daneben enthalten die Verfassungen aber häufig Grundrechte, die nicht schon zu den M.n gehören, sondern nur durch positiv-rechtl. Gewährung gelten.

Die Vereinten Nationen setzten sich den Schutz der M. u. Grundfreiheiten zum Ziel (Art. 1, 3 u. 53 der Satzung vom 24.10.1945) u. verzeichneten sie im wesentl. in der "Allg. Erklärung der M." vom 10.12.1948 (dazu zwei Konventionen vom 16. 12.1966 über a) bürgerl. u. politische u. b) wirtschaftl. u. soziale Rechte). Durch die "Konvention zum Schutz der M. u. Grundfreiheiten" (1950, Zusatzprotokoll 1952) verpflichteten sich die Vertragsstaaten (darunter Österr. u. die BRD), ihren Einwohnern die dort niedergelegten Grundrechte zu gewähren; Organe zur Sicherung der Einhaltung sind vorgesehen. Österr. hat im Staatsvertrag (Art. 6) von 1955 die M. allen auf seinem Gebiet lebenden Menschen zugebilligt.


2. Mit der staatl. u. der internationalen Anerkennung der M. wurde die kath. Auffassung bestätigt, daß der Mensch natürl. Rechte habe. Wenn es nötig wurde, haben kirchl. Lehrer immer wieder darauf hingewiesen (Leo XIII., D 3265; Pius XI., D 3690 3722 3726; Pius XII., UG 213 252 352-364 430 515 684 727 1113 1668 3139 4018 4994). Zusammenfassend hat Johannes XXIII. von den Rechten u. den Pflichten gesprochen, die in der Personwürde des Menschen verankert sind ("Er hat eine Natur, die mit Vernunft u. Willensfreiheit ausgestattet ist; er hat daher auch Rechte u. Pflichten, die unmittelbar u. gleichzeitig aus seiner Natur hervorgehen. Wie sie allg. gültig u. unverletzl. sind, können sie auch in keiner Weise veräußert werden", PT 9; vgl. 31), u. die wichtigsten von ihnen aufgezählt (PT 11).

Das 2. Vat. Konz. zeigt die Würde der menschl. Person, die die gesamten Dinge der Welt überragt (GS 12 26; DH 2), u. verkündet die in dieser Würde verankerten unverletzl. M. (GS 26 f 41 75; DH 1 6; NA 5), die allen Menschen ohne Unterschied zukommen (GS 9 29 60 75 82; vgl. Johannes XXIII., PT 43 f 86) u. deren Beachtung in der rechtl.-politischen Ordnung (GS 73) der Staat im Interesse des Gemeinwohles zu sichern hat (DH 6).


II. Zu den Rechten, die dem Menschen von Natur aus zustehen, gehören im wesentl. folgende:


1. Das Recht, als Person mit Eigenwert behandelt zu werden. Alle Verhaltensweisen, die den Menschen unter Mißachtung seines Eigenwertes wie eine Sache rein als Mittel zum Zweck einsetzen, sind abzulehnen, z.B. Prostitution, Mädchenhandel, Handel mit Jugendlichen, Sklaverei, Beschäftigung unter unwürdigen Arbeitsbedingungen (GS 27).


2. Das Recht auf das Leibesleben, das dem Menschen die einmalige Gelegenheit zur Entfaltung seiner Persönlichkeit bietet (GS 14; PT 11). Mit diesem Recht hängt das Recht auf Pflege der Gesundheit in Erholung u. ärztl. Betreuung zus. (PT 11). Dem Recht auf Leben widersprechen direkte Tätung (einschließl. Abtreibung, Euthanasie, Völkermord) u. Selbsttötung (GS 27 79).


3. Das Recht auf Unantastbarkeit der Person, d.h. ihr Recht, im Fähigsein zur verantwortl. Erfüllung ihrer Lebensaufgabe nicht beeinträchtigt zu werden, also das Recht auf Unversehrtheit des Leibes (PT 11), darüber hinaus auf Unversehrtheit der Gesamtperson (GS 27). Als unzulässig erscheinen Verstümmelung, körperl. u. seelische Folterung, psychischer Zwang (GS 27; vgl. Manipulation des Menschen).


4. Das Recht auf die materiellen Grundlagen des Lebens, wie Nahrung, Kleidung, Wohnung (PT 11; GS 26), also das Recht auf Eigentum, das in gewissem Maß zur freien Entfaltung der Persönlichkeit notwendig ist (PT 21; GS 9 71), u. damit zusammenhängend das Recht auf wirtschaftl. Betätigung (GS 65), im besonderen auf Arbeit als Erwerbstätigkeit (GS 26 67); ferner das Recht auf soziale Hilfe (Unterstützung durch die Gesellschaft) zur Sicherung des materiellen Lebensbedarfes (PT 11 32), bes. im Fall von Krankheit, Invalidität, Verwitwung, Alter, Arbeitslosigkeit od. sonstiger unverschuldeter Not (PT 11).

Über das zur Fristung des Daseins unbedingt Notwendige hinaus hat der Mensch ein Recht auf materielle Güter in einem Maß, das ihm eine menschenwürdige Lebensführung ermöglicht (PT 32; GS 26 f); die Wege zur Besserung seiner Daseinsbedingungen dürfen ihm nicht verschlossen werden (GS 9 29).


5. Das Recht auf den moralischen Rückhalt in der Gesellschaft, ohne den der Mensch nicht gedeihen kann, also das Recht auf guten Ruf u. Ehre (GS 26).


6. Das Recht auf die geistigen Voraussetzungen der Persönlichkeitsentfaltung, näml. auf Erziehung (GE 1 6 60; GS 26), auf Teilnahme an Bildung u. Kultur (GS 29 60), auf geziemende Information (GS 26 59 87), auf die Möglichkeit freier Meinungsbildung (GS 73), bes. in Dingen der Religion u. des Gewissens (GS 87).


7. Das Recht auf Freiheit, d.h. Nichtbehinderung in der verantwortl. Gestaltung des eigenen Lebens (DH 2). Dazu gehört das Recht auf geschützte Privatsphäre (GS 26), auf freie Entscheidung im rel. Bereich u. entsprechendes Verhalten im Privatleben u. in der Öffentlichkeit (DH 2 6 14; GS 26 73), auf Freiheit des Gewissens in inneren Entscheidungen u. dem daraus entspringenden Verhalten (GS 26), etwa in der Familiengestaltung (Kinderzahl GS 87; Kindererziehung GE 6), in der Weigerung, Befehle auszuführen, die Unerlaubtes verlangen (GS 79; Widerstand), in der Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen (GS 79; Wehrpflicht). Jeder Gewissenszwang ist abzulehenen (DH 2).

Das Recht auf freie Lebensgestaltung umfaßt als wichtige Teilrechte jenes auf freie Standeswahl (GS 26 29), auf Familiengründung (GS 26 87), auf freie Gattenwahl (GS 29), auf Arbeit, insofern sie zur Persönlichkeitsentfaltung notwendig ist (GS 26). Weiters gehört zum Recht auf freie Lebensgestaltung das Recht, an der Formung des sozialen Lebensraumes mitzuwirken, in dem sich die Persönlichkeit verwirklichen muß, also das Recht auf freie Meinungsäußerung (GS 73 f), auf Freiheit der Versammlung sowie der Vereinigung (GS 73), auf Teilnahme am politischen Leben, im besonderen durch freie politische Wahlen (GS 9 75).

Schließl. steht dem Menschen das Recht der Auswanderung zu, falls er hofft, anderswo bessere Lebensbedingungen zu finden (GS 65).

Gegen das Recht auf Freiheit verstoßen alle nicht im Interesse des Zusammenlebens unbedingt notwendigen Freiheitsbeschränkungen, wie willkürl. Verhaftung, Verschleppung, Versklavung, soziale u. politische Knechtung (GS 27).


III. Zulässige Schranken werden dem Gebrauch der M. nur durch die berechtigten Interessen der Mitmenschen u. des Gemeinwohles gesetzt. "Die einzelnen Menschen u. die sozialen Gruppen sind bei der Ausübung ihrer Rechte durch das Sittengesetz verpflichtet, sowohl die Rechte der anderen wie auch die eigenen Pflichten den anderen gegenüber u. das Gemeinwohl zu beachten" (DH 7; GS 71 75).

Jeder rechtmäßigen Beschränkung wohnt aber das Bestreben inne, sofort nach Aufhören ihrer Notwendigkeit der Freiheit wieder Raum zu geben (vgl. GS 75; DH 7).


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