Gebet
Karl Hörmann
Lexikon der christlichen Moral

LChM 1976, Sp. 416-429


Unter den Kultakten, d.h. den Handlungen, die eigens zur Gottesverehrung vollzogen werden, ist der häufigste das G.


1. Das G. (griech. euche, proseuche; lat. oratio, das auch Rede bedeuten kann) wird seit alters als fromme Erhebung des Geistes zu Gott oder als Sprechen des Menschen mit Gott bezeichnet. "Gebet ist die Erhebung des Geistes zu Gott" (Johannes v. Dam., De fide orth. III 24, PG 94,1089; vgl. Neilos v. Ankyra, De orat. 35, PG 79,1173; Ps.-Augustinus, Serm. 73, PL 39,1887; Thomas v. A., S.Th. 2,2 q.83 a.17). "Dein Gebet ist Sprechen mit Gott; wenn du liest, spricht Gott mit dir; wenn du betest, sprichst du mit Gott" (Augustinus, In Ps 85 en. 7, PL 37,1086; vgl. Gregor v. Nyssa, Orat. 1 de orat. dom., PG 44,1124; Johannes Chrys., In Gen. hom 30,5, PG 53,280; Neilos v. A., De orat. 3, PG 79,1168; Ambrosius, De off. min. I 20,88, PL 16,50; Hieronymus, Ep. 22,25, PL 22,411; Maximus Conf., Liber ascet. 24, PG 90,980; 2. Vat. Konz., Dei verbum 25). G. wird so zur annehmenden Antwort auf das Liebesangebot Gottes. Diese Zuwendung kann unmittelbar zu Gott gehen, sie kann aber auch den Weg über Geschöpfe nehmen (Heiligenverehrung). Einseitig verzerrend ist die Meinung, man dürfe Gebete nicht an Christus, sondern nur durch ihn an den Vater richten (vgl. Pius XII., "Mystici corporis", AAS 1943,236). Schon im NT finden wir neben der Anleitung, uns durch Christus an den Vater zu wenden (Eph 3,12; 5,20; Kol 3,47; Hebr 10,19-22), die Anfänge des Gebetes zu Jesus (Mt 8,6; 15,22.25; Lk 17,13; 23,42; Apg 7,59 f; Röm 10,12; 1 Kor 1,2; 16,22; 2 Kor 12,8; 1 Tim 1,12; 2 Petr 3,18; Offb 1,5 f; 5,9 f; 22,20).

G. ist ein Akt der Gottesverehrung, da der Beter Gott über sich anerkennt, sich ihm hingebend zuwendet und ihn dadurch ehrt. Wer seinen Geist zwar auf Gott hinlenkt, aber ohne innere Hingabe an ihn, betet nicht. Wegen der fehlenden Absicht, Gott zu ehren, können Dämonen und Verdammte nicht beten; wenn sie Gott Wünsche vortragen (vgl. Ijob 1,11; Mt 8,31), tun sie es ohne Absicht, ihn zu ehren, beten daher nicht.

Beten können nur Geschöpfe. Die göttl. Personen können in ihrer Gottesnatur nicht im eigentl. Sinn beten. Der Gottessohn betet in seiner Menschennatur ("Ich werde den Vater bitten", Joh 14,16). Der Hl. Geist "tritt für uns ein mit unaussprechl. Seufzern", Röm 8,26), d.h., er regt uns zum Beten an. Unter den Geschöpfen ist den vernunftlosen das G. nicht mögl., sondern nur den vernunftbegabten, also den Engeln, den Menschen auf Erden, den Heiligen im Himmel, den Seelen im Reinigungszustand (Thomas v. A., S.Th. 2,2 q.83 aa. 10 f). Solange die Sünder auf Erden leben, verlieren sie nicht die Fähigkeit, sinnvoll zu beten (D 2450 2459 [1400 1409]); ihr unter dem Einfluß der Gnade zustandegekommenes Gebet ebnet ihnen den Weg zurück zu Gott.


2. Wenn das G. nur innerl., nicht auch sinnl. wahrnehmbar geübt wird, sprechen wir vom inneren G. (oratio mentalis). Wenn die Erhebung des Geistes zu Gott auch sinnl. wahrnehmbaren Ausdruck findet, bezeichnen wir sie als mündliches G. (o. vocalis). Selbstverständl. muß auch mit dem mündl. Gebet innere Hingabe verbunden sein, soll es nicht leer und sinnlos werden. "Wenn wir also zu Gott beten, sei es mit der Stimme des Fleisches, wenn es nötig ist, sei es mit Schweigen, (auf jeden Fall) ist mit dem Herzen zu rufen" (Augustinus, In Ps 118 en. serm. 29,1; vgl. Serm. 56,5; 156,15; PL 37,1585; 38,379 f.858 f; vgl. Isidor, Sent. III 7,4, PL 83,672).

Obwohl man rein innerl. richtig beten kann (Hochformen des inneren G.es erreicht die Mystik), ist doch das mündl. G. in gewissem Ausmaß notwendig. Ein gemeinsames G. kann nicht ohne mündl. Beten durchgeführt werden. Aber auch für den einzelnen Beter erweist sich das mündl. Beten aus denselben Gründen, die für die äußeren Akte der Gottesverehrung im allg. gelten, zumindest zeitweise als notwendig. In der Hl. Schrift treffen wir allenthalben Beispiele mündlichen G.es (Ps 141 [142],2); Jesus selbst betet mündl. (Joh 11,41 f; 17; Hebr 5,7). Die Kirche nimmt daher das mündl. G. in Schutz (D 2234 [1254]).

Die Kirche unterscheidet beim mündl. G. das öffentliche (o. publica), das im Namen der Kirche v. den dazu bestimmten Personen in der v. der Kirche vorgeschriebenen Form verrichtet wird, u. das private (o. privata), bei dem es irgendwie an diesen Bedingungen fehlt) CICc. 1256; Instr. der Ritenkongregation vom 3.9.1958, Nr. 1, AAS 1958,632; vgl. Thomas v. A., S.Th. 2,2 q.83 a.12).

So hoch das öffentl. G. als das G. des mit dem Haupt Christus vereinten mystischen Leibes zu schätzen ist (2. Vat. Konz., Sacrosanctum Concilium 84), dürfen doch der Wert u. die Notwendigkeit des privaten G.es nicht übersehen werden. "Der Christ ist zwar berufen, in Gemeinschaft zu beten, doch muß er auch in sein Kämmerlein gehen u. den Vater im Verborgenen anbeten (Mt 6,6), ja ohne Unterlaß beten, wie der Apostel mahnt (1 Thess 5,17)" (2. Vat. Konz., Sacrosanctum Concilium 12; vgl. D 3757 f 3819 3846 [2276 - 2299]).

Für manche Arten des Betens sind G.sformeln notwendig. Von rein inneren u. v. frei geformten G.en können wir am ehesten sicher sein, daß sie aus dem Herzen des Menschen entspringen, daß bei ihnen also das wesentl. Element der inneren Hingabe nicht zu kurz kommt. Doch ist zu beachten, 1. daß viele Menschen nicht fähig sind, selbst G.e zu formen, daher G.sformeln brauchen u. durch sie zum Ausdruck ihrer Rede vor Gott erzogen werden, 2. daß auch solche, die selbst G.e formen können, in Zeiten seelischer Dürre nach G.sformeln greifen u. sich von ihnen anregen lassen, 3. daß für das gemeinsame Beten festgelegte Formeln unerläßl. sind. Jesus selbst lehrt uns eine G.sformel, das Vaterunser (Mt 6,9-3), auch sonst sind in der Hl. Schrift G.sformeln enthalten (z.B. Apg 1,24 f; 4,24-30). Häufig gebrauchte G.sformeln sind das Vaterunser, das in knapper Fassung allen wesentl. Inhalt des G.es enthält (vgl. Augustinus, Sermo 8 de div. 3,4; Ep. 130,12, PL 38,379; 33,502; Thomas v. A., S.Th. 2,2 q.83 a.14 ad 3; a.17), das Ave Maria, das aus einem bibl. Teil (Lk 1,28.42) u. einem kirchl. Zusatz besteht u. in dieser Gestalt seit ungefähr 1500 gebräuchl. ist, das G. "Der Engel des Herrn" zur Verehrung des Menschwerdungsgeheimnisses u. der Mutter Gottes, der Rosenkranz zur betrachtenden Erwägung der Geheimnisse des Lebens Jesu v. der Empfängnis bis zur Verklärung, die Glaubensbekenntnisse zum Ausdruck der gläubigen G.sstimmung und zur offenen Bekundung des Glaubens, die Litaneien und der reiche Schatz der liturgischen G.e.


3. Als wichtigste Wirkung des G.es sind die Vorbereitung u. das Wachsen des Lebens mit Gott zu nennen, zu dem der Mensch berufen ist. Wenn der persönl. Gott den Menschen zum persönl. Teilhaber seiner Liebe erwählt, muß des Zwiegespräch des G.es für diese Gemeinschaft große Bedeutung haben.

Zu den Wirkungen, die sich einstellen, aber auch fehlen können, ohne daß deshalb das G. seinen Wert verlieren müßte, zählt der fühlbare Trost. Zeiten der Trostlosigkeit und Dürre können nach Gottes Willen viel zur Vervollkommnung des Beters beitragen. Der aufrichtige Schmerz darüber, nicht schwungvoller beten zu können, ist selbst G. (Augustinus, De div. qq. I 21, PL 40,127). Es wäre daher verfehlt, das G. zu unterlassen, wenn man keine Lust dazu in sich verspürt. "Leidet jemand unter euch? Er soll beten. Ist jemand guten Mutes? Er soll Psalmen singen" (Jak 5,13; vgl. Ps 33 [34],2; Thomas Hemerken a Kempis, Brevis admonitio spiritualis exercitii).

Eine Wirkung des Bitt-G.es im besonderen kann die Erlangung des Erbetenen sein. Wenn sich dieses aber auch nicht in der gewünschten Weise einstellt, darf daraus nicht auf die Wirkungslosigkeit des G.es geschlossen werden.


4. Seinen vollen Wert erlangt das G. unter bestimmten Voraussetzungen, die in dem Ausdruck zusammengefaßt werden können, daß der Beter "im Namen Jesu" betet, d.h. in der lebendigen Gnadengemeinschaft, die ihn mit der Person, der Gesinnung u. der Wirkkraft des Erlösers verbindet. "Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet, wird er es euch in meinem Namen geben. Bis jetzt habt ihr ihn um nichts in meinem Namen gebeten. Bittet, u. ihr werdet empfangen, damit eure Freude vollkommen sei" (Joh 16,23 f; vgl. 15,7.16; 16,26; 14,13 f). "Darin besteht die freudige Zuversicht, die wir zu ihm haben, daß er uns hört, wenn wir nach seinem Willen um etwas beten" (1 Joh 5,14; vgl. Röm 8,26; Eph 5,20; Kol 3,17).

a) Wesentl. für das Beten "im Namen Jesu" ist der Gnadenstand, die lebendige Verbundenheit des Beters mit dem Herrn, der dem Gebet seine Kraft verleiht (vgl. Thomas v. A., S.Th. 2,2 q.83 a.15 ad 1). "Wenn ihr in mir bleibt u. meine Worte in euch bleiben, dann bittet, um was ihr wollt, u. es wird euch zuteil werden" (Joh 15,7). Schon im AT gilt: "Auf die Gerechten schaut das Auge des Herrn, ihrem Rufen leiht er sein Ohr. Doch sein Antlitz wendet sich ab von den Bösen, auszutilgen ihr Gedächtnis auf Erden") Ps 33 [34],16 f). Viel mehr noch kann im NT auf die Kraft seines G.es bauen, wer sich reinen Gewissens mit Christus verbunden u. durch ihn gerechtfertigt weiß: "Geliebte, wenn unser Herz uns nicht anklagt, dann haben wir freudige Zuversicht zu Gott u. erhalten von ihm, um was wir bitten, weil wir seine Gebote halten u. tun, was vor ihm wohlgefällig ist" (1 Joh 3,21 f).

Trotzdem ist das G. des Sünders nicht sinnlos. Wenn er nicht als Sünder, d.h. aus sündigem Verlangen, betet, sondern von dem angeregt, was in ihm gut geblieben ist, hat sein G., zu dem ihm die Gnade hilft (vgl. Augustinus, De persever. 23, PL 45,1032), einigen Wert (vgl. Thomas v. A., S.Th. 2,2 q.83 a.16 c ad 2), bes. zur Wiedererlangung des Gnadenlebens. Die Hl. Schrift zeigt, daß das G. des Sünders nicht nutzlos ist (Erhörung des rechten Schächers, Lk 23,42 f; des Zöllners im Gleichnis, Lk 18,13 f; vgl. Augustinus, In Io tr. 44,9, PL 35,1718; D 2450 2459 [1400 1409]).

b) Wertvolles G. ist vertrauensvoll. Ein fruchtbares Gespräch kommt nur dort zustande, wo Vertrauen (vgl. Glaube, Hoffnung) herrscht (vgl. Thomas v. A., S.Th. 2,2 q.83 a.15 ad 3). Christus wirkt oft Wunder, wo er Vertrauen sieht. Jakobus mahnt: "Erbitte aber im Glauben, ohne irgendwie zu zweifeln; denn wer zweifelt, gleicht einer Meereswoge, die vom Wind gepeitscht u. hin u. her geschleudert wird. Ein solcher Mensch soll nur ja nicht meinen, er werde vom Herrn etwas empfangen" (Jak 1,6 f). Basilius d. G. nennt einmal als Grund für die Nichterhörung des G.s, daß es ohne Vertrauen geschehen ist (Const. monast. 1, PG 31,136). "Großer Glaube verdient Großes, u. soweit du in den Gütern des Herrn den Fuß des Vertrauens voranträgst, soweit wirst du besitzen" (Bernhard v. Clairvaux, In Cant. serm. 32,8, PL 183,950; vgl. Isidor, Sent. III 7,5, PL 83,674).

c) Richtiges G. muß demütig sein (vgl. Thomas v. A., S.Th. 2,2 q.83 a.15): Bei allem Vertrauen muß sich der Beter der Wirklichkeit entsprechend Gott unterordnen (Demut). Gott erhört den demütigen Zöllner u. verwirft den hochmütigen Pharisäer (Lk 18,9-14; vgl. Isidor, Sent. III 7,20 f, PL 83,676). "Gott widersteht den Hoffärtigen, den Demütigen aber gibt er Gnade" (Jak 4,6; 1 Petr 5,5; vgl. Spr 3,34). Demütig bekennt Abraham: "Ich habe mich nun einmal unterfangen, zu meinem Herrn zu reden, obwohl ich Staub und Asche bin" (Gen 18,27).

d) Der gute Beter muß beharrlich sein. Das beständige Leben mit Gott braucht beständigen G.sverkehr mit ihm. "Solange du siehst, daß dein G.seifer nicht von dir gewichen ist, kannst du sicher sein, daß auch Gottes Barmherzigkeit dich nicht verlassen hat" (Augustinus, In Ps 65 en. 24, PL 36,801). "Er erzählte ihnen aber auch ein Gleichnis, um ihnen zu sagen, daß sie allezeit beten u. nicht müde werden sollten" (Lk 18,1). "Wachet also allezeit u. betet, damit ihr imstande seid, all dem zu entrinnen, was da kommen wird, u. zu bestehen vor dem Menschensohn" (Lk 21,36). "Seid beharrlich im Gebet" (Kol 4,2; vgl. Röm 12,12; Eph 6,18). "Betet ohne Unterlaß" (1 Thess 5,17). Zu beharrl. G. mahnen das Gleichnis vom Freund, der in der Nacht kommt u. dem erst nach langem Klopfen geöffnet wird (Lk 11,5-13), das Beispiel der kanaanäischen Frau, die Jesus erst nach eindringl. Bitten erhört (Mt 15,22-28). Für das Bitt-G. im besonderen gilt eben, daß Gott zwar immer bereit ist, seine Gaben auszuteilen, daß der Mensch aber des G.es, manchmal auch des längeren, bedarf, um dafür empfängl. zu werden (vgl. Thomas v. A., S.Th. 2,2 q.83 a.15 ad 2). Basilius nennt als mögl. Grund, warum das G. nicht erhört wurde: "Du hast nicht ausgeharrt" (Const. monast. 1, PG 31,676).

Die Mahnung zu beständigem G. kann sicher nicht durch ununterbrochenes ausdrückl. Beten erfüllt werden, da sich der Mensch vielen anderen Pflichten widmen muß u. auch Zeiten der Erholung braucht. Der Erfüllung dienen regelmäßige G.szeiten. Die "Lehre der zwölf Apostel" (Didache) sagt zum Vaterunser: "Dreimal am Tag sollt ihr so beten" (Did 8,3; vgl. Tertullian, De orat. 25; Apol. 39; PL 1,1301.539; Augustinus, Ep. 130,9; PL 33,501; Thomas v. A., S.Th. 2,2 q.83 a.14). Eine andere Erfüllung liegt darin, daß man nach dem ausdrückl. G. in der Haltung gotthingegebener bleibt. "Ein Herz, das in Sehnsucht nach dem Ewigen seufzt, betet ununterbrochen, auch wenn der Mund schweigt. Das G. des Herzens verstummt, wenn das Feuer der Sehnsucht erlischt" (Augustinus, Sermo 80,6; PL 38,497; Thomas v. A., a.a.O. ad 4). Durch das ausdrückl. G. wird die formale Gottesverherrlichung geleistet, durch das Gesamtverhalten entsprechend den Absichten Gottes die materiale Gottesverherrlichung. Je mehr man die materiale Verherrlichung zu einer bewußten macht, umso mehr nimmt sie den Charakter der ausdrückl. Gottesverehrung oder des G.es an. Dem Bewußtmachen dient im besonderen die Übung der guten Meinung, das Erwecken der Absicht, sich in allem in Einklang mit Gott zu verhalten u. dadurch Gott zu ehren. "Möget ihr also essen od. trinken oder sonst etwas tun; tut alles zur Ehre Gottes" (1 Kor 10,31; vgl. Kol 3,17). "Willst du Gott loben, so soll nicht bloß deine Stimme das Lob Gottes singen, sondern das, was du tust, soll mit dem harmonie ren, was deine Stimme singt" (Augustinus, In Ps 146 en. 2; PL 37,199 f; vgl. in Ps 34 en. serm. 2,16; In Ps 148 en. 2; PL 36,341; 37,1938 f). Es ist klar, daß die göttl. Tugenden, bes. die Liebe, zu einer solchen Hinordnung des gesamten Lebens auf Gottes Ehre anregen (vgl. Augustinus, Ep. 130,9, PL 33,501; Thomas v. A., a.a.O. ad 4).

Wesentl. für das beharrl. G. ist also die innere Hingabe. Der Beter muß nicht viele Worte machen (vgl. Thomas v. A., a.a.O. ad 1). "Wenn ihr aber betet, plappert nicht daher wie die Heiden, denn sie meinen erhört zu werden, wenn sie viele Worte machen" (Mt 6,7; vgl. Koh 5,1). Das Beispiel heidnischer Wortmacherei bieten die Baalspriester, die Elias gegenüberstehen (1 Kön 18,26-28), u. die Schriftgelehrten, die zum Schein lange G.e hersagen (Mk 12,40). "Nicht die vielen Worte tun es beim Beten, sondern die gottgefällige Gesinnung" (Augustinus, Sermo 56,6; vgl. 80,6; Ep. 130,10; PL 38,379.497; 33,501). Ignatius v. Loyola lehrt als zweite G.sweise das betrachtende Verweilen bei den einzelnen Worten der G.e (Geistliche Übungen Nr. 249-257).

Durch die andauernde innere Hingabe erlangt das beharrliche G. auch seine Einheit (vgl. Thomas v. A., a.a.O. ad 2). Solches Ausharren in einem großen Anliegen gemäß dem Auftrag Jesu (Apg 1,4; Lk 24,49) zeigt uns die urchristl. Gemeinde: "Diese alle verharrten einmütig im G. mit den Frauen u. Maria, der Mutter Jesu, u. mit seinen Brüdern" (Apg 1,14). Als Petrus gefangengesetzt ist, widmet die Kirche diesem einen großen Anliegen ihr unablässiges G. (Apg 12,5.12).

Die wünschenswerte Dauer des ausdrückl. G.es läßt sich nicht allgemein festlegen. Nach Thomas v. A. (S.Th. 2,2 q.83 a.14) soll man beten, solange es der inneren Hingabe förderl. ist, u. aufhören, sobald die Hingabe leidet. Unter Umständen können wiederholte kurze G.e der Hingabe mehr dienen als ermüdende, lang hingezogene G.stexte. Augustinus empfiehlt die in Ägypten aufgekommenen Stoß-G.e (Ep. 130,10, PL 33,501 f).

e) Das ausdrückl. G. ist dann wirkliches G., wenn es andächtig oder aufmerksam (attente), d.h. als bewußter (menschl.) Akt der Gottesverehrung verrichtet wird. Auf das nur innere G. trifft dies zu, solange der Beter in der Absicht (intentio) verharrt, seinen Geist zu Gott zu erheben.

Das mündl. G. ist andächtig, wenn die innere Haltung des Beters mit den G.sworten, die Hingabe ausdrücken, übereinstimmt. "Wenn ihr in Psalmen u. Hymnen zu Gott betet, weile das im Herzen, was mit der Stimme vorgebracht wird" (Augustinus, Ep. 211; PL 33, 960).

Zur bewußten Herstellung dieser Übereinstimmung ist nicht nur äußere Aufmerksamkeit (attentio externa, die Fernhaltung alles Störenden), sondern auch innere Aufmerksamkeit (a. interna, die Zuwendung des Geistes zum Inhalt des G.es) notwendig. Dem Inhalt des G.es kann man sich zuwenden 1. durch das Bemühen, die Wörter richtig auszusprechen (a. materialis), 2. durch Beachtung des Sinnes der einzelnen Wörter (a. litteralis), 3. durch Achten auf Gott und auf das Anliegen, das man im G. vor ihn bringen will (a. spiritualis) (vgl. Thomas v. A., S.Th. 2,2 q.83 a.13). Alle drei gleichzeitig zu verwirklichen, gelingt nur selten. Sicher muß sich der Beter um äußere Aufmerksamkeit (Sammlung) bemühen. Jesus zieht sich zum G. in die Einsamkeit zurück (Mk 1,35; 6,46; 14,36; Lk 6,12; 9,18.28), Petrus auf das Dach (Apg 10,9). Ferner ist zum G. ein Mindestmaß an innerer Aufmerksamkeit erforderl., näml. das bewußte Herangehen ans Beten (intentio), und wenigstens die Attentio materialis. Auch einfache Leute können die A. spiritualis haben; der Beter soll auf jeden Fall nach ihr trachten. Am schwersten läßt sich die A. litteralis verwirklichen; sie muß auch nicht angestrebt werden.

Den Gegensatz zur Aufmerksamkeit bildet die Zerstreuung. Ohne sie beten ist eine seltene Gnade Gottes. "Dann ruft man mit ganzem Herzen, wenn man nicht anderswohin denkt. Solche Gebete sind selten für viele, häufig aber für wenige" (Augustinus, In Ps 118 serm. 29,1; vgl. Isidor, Sent. III 7,8; PL 37,1585; 83,673). Unfreiwillige Zerstreuung nimmt dem G. nicht seinen Wert, wenn der Mensch weiterbeten will u. sich um Sammlung bemüht (vgl. Basilius d. Gr., Const. monast. 1, PG 31,1333; Thomas v. A., S.Th. 2,2 q.83 a.13). Wenn jemand jedoch beim G. vorsätzlich zerstreut ist, entwertet er sein G., das als bloßes Lippen-G. (vgl. Jes 29,13; Mt 15,7) Gott verunehrt (vgl. Basilius d. Gr., a.a.O.; Augustinus, Conf. X 35,57, PL 32,803; Thomas v. A., a.a.O.)


5. Wenn es eine Pflicht zur Gottesverehrung gibt, dann auch zum G. als ihrem häufigsten Akt. Die personale Gemeinschaft mit Gott, zu der wir bestimmt sind, kann nicht ohne Pflege des Gesprächs mit Gott verwirklicht werden. Gott spricht zu uns durch die Propheten, die Mittler seiner Offenbarung, hauptsächlich aber durch seinen Sohn (Hebr 1,1 f), u. erwartet unsere Antwort, die wir ausdrücklich im G. geben. Das G. ist zur Einübung der Freundschaft mit Gott (Ex 33,11-23) u. der Gotteskindschaft (Ps 88 [89],27; Weish 14,3; Jes 63,16; 64,7; Jer 3,19; Mt 6,9) notwendig. Auch das gemeinsame Priestertum, durch das die Gläubigen sich u. die ganze Welt Gott weihen, fordert das G. (vgl. 2. Vat. Konz., Lumen gentium 10). "Wie uns der Atem immer zum Leben des Fleisches notwendig ist, ist uns fortgesetztes G. zur Gesundung des Geistes notwendig" (Regula Benedicti commentata, PL 66,329; vgl. Thomas v. A., Sent.5 d.15 q.4 a.1 sol.3; Cat. Rom. IV 1,3; D 229 f 380 892 1536 2214 f 2234 [107 f 183 472 804 1234 f 1254]). Die schwersten Belastungen des Lebens mit Gott kann der Mensch bestehen, wenn er betet (vgl. D 1536 1809 [804 979]). Als notwendiges Heilshandeln geht das G. aus der Gnade hervor (D 373 376 380 1536 1809 [176 179 183 804 979]). "Denn Gott ist es, der in euch das Wollen wie das Vollbringen schafft nach seinem Wohlgefallen" (Phil 2,13).

Die Hl. Schrift fordert zu beharrl. G. nachdrückl. auf: "Betet, u. es wird euch gegeben werden" (Mt 7,7). Wegen der Notwendigkeit des G.es ist dies nicht als bloßer Rat, sondern als Gebot aufzufassen (Cat. Rom. IV 1,2). Zu seiner Erfüllung werden wir durch das Vorbild Jesu angeeifert (vgl. Mk 1,35; 6,46; 14,35 f.39; Lk 3,21; 5,16; 6,12; 9,18.28 f; 10,21; 23,46; Hebr 5,7). Die Jünger sehen ihn beten u. bitten ihn dann, sie beten zu lehren (Lk 11,1). "Der Herr selbst verbrachte die Nacht im G., um dich durch das eigene Beispiel zum Beten einzuladen" (Ambrosius, Exp. in Ps 118 serm. 8,45; vgl. Cyprian, De dominica orat. 29; Augustinus, In Io tr. 104,2; PL 15,1313; 4,556; 35,1902).

Dieser durch die Natur der Sache u. das Gebot gegebenen G.spflicht genügt man durch irgendeine Art des Betens, auch durch das rein innere. Ebenso sind für das dringl. geforderte häufige G. die Zeiten nicht festgelegt. Sosehr regelmäßige G.szeiten zu empfehlen sind, vernachlässigt doch seine Pflicht noch nicht, wer das eine od. andere Mal das G. unterläßt, sondern erst, wer es längere Zeit vernachlässigt. Zum G. ist im besonderen aufgerufen, wer ohne G. ein anderes Gebot (Teilnahme an der Sonntagsmesse, Jahr esbeichte, Osterkommunion) nicht sinnvoll erfüllen kann. Eine weitergehende Gebetspflicht als die Allgemeinheit haben Geistliche u. Ordensleute (CICcc. 125; 135; 413 § 1; 595 § 1; 610 §§ 1.3; 1367 n.1; 2. Vat. Konz., Presbyterorum ordinis 18; Christus Domi nus 33; Perfectae caritatis 3 7).


6. Wie die Gottesverehrung wird auch das G. in seinem Inhalt von den drei göttl. Tugenden bestimmt. "Der Glaube leistet die Zustimmung, die Hoffnung u. die Liebe beten. Ohne Glauben aber können sie nicht sein, u. in diesem Sinn betet auch der Glaube" (Augustinus, Ench. 7; PL 40,234). Der Glaube führt uns dazu, die Größe Gottes anzuerkennen u. zu loben (Anbetung, Lobgebet), die Hoffnung dazu, von Gott Wohltaten zu erbitten (Bittgebet), die Liebe dazu, ihm für die erhaltenen Wohltaten zu danken (Dankgebet) u. für die Beleidigung durch die Sünde Ersatz anzubieten (Sühnegebet). Freil. steht jedes G. unter dem Einfluß des Glaubens. "Der Glaube ist die Quelle des G.es. Wenn die Glaubensquelle versiegt, kann der Strom des G.es nicht fließen" (Augustinus, Serm. 115,1, PL 38,655). Irgendwie ist in jedem wahren Gebet auch die Liebe tätig, die uns drängt, Gott zu suchen u. mit ihm eines Sinnes zu werden.


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