Euthanasie, B.
Karl Hörmann
Lexikon der christlichen Moral

LChM 1976, Sp. 430-433


B. Moraltheol.


I. Gegen die aktive E. im engeren Sinn (absichtl. Tötung Kranker, Alter od. "lebensunwerten Lebens") richten sich beträchtl. sittl. Einwände. Das 2. Vat. Konz. bezeichnet diese E. als Schande (GS 27).


1. Als Hauptgrund ist die Unantastbarkeit schuldlosen Menschenlebens geltend zu machen. Wer die aktive E. für sich verlangt, macht sich des Selbstmordes schuldig (Pius XII., UG 2362); wer sie durchführt, des Mordes (Pius XII., UG 5442).

Die Kirche wandte sich mit aller Entschiedenheit dagegen, daß die Staatsbehörde schuldlose Menschen töten lassen dürfe, die wegen seelischer od. körperl. Mängel dem Volk zur Last fallen; solche Tötung widerspreche dem natürl. u. dem positiven göttl. Recht (D 3790; Pius XII., UG 1054). Auf das Ganzheitsprinzip (im Interesse des ganzen Volkes dürften jene Glieder entfernt werden, die sein Wohl beeinträchtigen) beruft man sich zu Unrecht, da die im Staat organisierte Gesellschaft nicht physischer, sondern bloß moralischer Organismus ist, dem die Glieder nur in der Tätigkeit, nicht im Sein unterstehen (Pius XII., UG 2363 5380).


2. Zum Hauptgrund tritt eine Reihe von Nebengründen.


a) Hinter der aktiven E. steckt nicht selten die Anschauung, menschl. Leben, das keinen (materiellen) Nutzen bringe, sei wertlos. Ihr gegenüber ist zu betonen, daß solche Menschen für ihre Umgebung einen Lebensinhalt darstellen können u. daß sie selbst häufig durch Verwirklichung charakterlicher Werte ihre Umgebung günstig beeinflussen können. Die Offenbarung lehrt, daß die Menschen in erster Linie nicht für die Erde u. die Zeit, sondern für den Himmel u. die Ewigkeit geboren werden (Pius XI., D 3722) u. daß sie für diese Bestimmung gerade durch Leiden reifen können. Pius XII. verweist darauf, daß den Schwachen, Verwundeten u. Kranken die besondere Liebe des Erlösers gilt u. daß gemäß dem Pauluswort (1 Kor 12,22) die anscheinend schwächeren Glieder dem Mystischen Leib nicht weniger notwendig sind; ihre Tötung widerspreche jeder höheren Menschlichkeit u. dem natürl. u. göttl. Gesetz u. schreie zum Himmel ("Mystici corporis", AAS 1943, 230 f). Die Grundlage der E. ist häufig eine unchristl. Lebensauffassung, die den Wert des Menschen gleich dem des Tieres nach dem materiellen Nutzen bemißt u. damit die Würde der menschl. Person (weil sie durch Mängel verdeckt ist) mißachtet; die den Schmerz als allergrößtes Übel ansieht; die nicht beachtet, daß niemand ohne Gottes Zulassung leidet u. daß der Mensch durch Leiden seine Sünden büßen, an seelischen Wert gewinnen, am Leiden Christi u. dadurch auch an seiner Herrlichkeit Anteil haben kann (vgl. Pius XII., UG 1310 f 5442 5514-16).


b) Aufgabe des Arztes (dem die Durchführung der aktiven E. hauptsächl. zugemutet wird) ist es, Leben zu pflegen, nicht zu zerstören.


c) Ein Irrtum des Arztes über die Unheilbarkeit einer Krankheit ist mögl.; außerdem kann die Medizin in kurzer Zeit neue Heilmethoden finden.


d) Für die aktive E. mit Zustimmung des Kranken ist zu bedenken, daß die Zustimmung oft nicht ernst gemeint ist u. der Lebenswille auch in hoffnungslosen Fällen manchmal erstaunlicherweise andauert.


e) Wenn die aktive E. ohne Wissen des Kranken geübt werden soll u. die Verwandten über sie entscheiden können, sind selbstsüchtigen Wünschen Tür u. Tor geöffnet. Wenn der Arzt sie auf eigene Faust übt, nimmt er umso größere Verantwortung auf sich; außerdem wird bei Bekanntwerden seines Vorgehens das Vertrauen seiner Patienten zu ihm erschüttert.


f) Mit der Tötung schuldlosen Menschenlebens rührt man an eine Grundfeste des menschl. Zusammenlebens (vgl. Pius XII., UG 1054).


II. Zulässig sein können Maßnahmen, die unter den Begriff der E. im weiteren Sinn fallen: Schmerzlinderung mit Hilfe von Medikamenten, durch die das Leben nicht od. nur geringfügig verkürzt wird (vgl. 5442 5518 f 5531 5535); Unterlassung von Hilfe zur Lebensverlängerung, wenn sie in Wirklichkeit nur eine Verlängerung des Sterbens bedeuten würde (passive E.; vgl. Pius XII., UG 5548 f).

Christl. Nächstenliebe verlangt, daß der Kranke nicht in einen Zustand dauernder Bewußtlosigkeit versetzt wird, bevor er die Möglichkeit hatte, seine zeitl. Angelegenheiten u. sein Verhältnis zu Gott zu ordnen.


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