Übel
Karl Hörmann
Lexikon der christlichen Moral

LChM 1976, Sp. 1613-1615


1. Als Ü. bezeichnet man ein Element in der Verfassung eines Seienden, das dieses nicht so sein läßt, wie es sein sollte; also einen Mangel im Sein (in der Vollkommenheit, im Gutsein).


a) Näherhin kann dieser Mangel dem natürl. Sein od. Tätigsein des Seienden (Ü. im engeren Sinn; physisches Ü., vom Menschen meistens schmerzl. empfunden) od. dem sittl. Wollen (Sünde, Böses; moralisches Übel) anhaften.

"In doppelter Weise wird der Name Ü. verwendet: für das, was der Mensch tut, u. für das, was er leidet; das eine ist die Sünde, das andere die Sündenstrafe" (Augustinus, Contra Adimantum 26; PL 42,169).


b) Nach dem Ursprung des Ü.s (im besonderen nach seiner Vereinbarkeit mit Gottes Allmacht u. Güte, nach dem Zusammenhang von physischem Ü. u. Sünde) fragt die phil. u. die theol. Reflexion (Theodizee). Innerh. der umfassenden Problematik des Ü.s stellen sich der Moraltheologie ihr eigene Fragen.


2. Das physische Ü., das den Menschen trifft (mag es in seinem eigenen Sein od. in seiner Umwelt liegen), wird ihm häufig zur Schwierigkeit für seine sittl. Lebensgestaltung (ungünstige Lebensverhältnisse, Schicksalsschläge, Krankheiten, Tod).


a) Erfahrungsgemäß versagen viele Menschen unter solcher Belastung in der sittl. Bewältigung ihres Lebens. Anderseits können Leiden dem Menschen auch zur Ausreifung seiner Persönlichkeit helfen; gerade darin (u. keineswegs nur in der Strafe für die Sünde) ist ihr tieferer Sinn zu suchen (Geduld). Auf beide Aspekte muß man in der Betreuung von Menschen achten.


b) Der sittl. verantwortungsbewußte Mensch steht manchmal vor der Frage, ob u. wieweit er sich od. anderen physische Ü. zufügen darf.

Zweifellos widerspricht es der dem Menschen aufgetragenen (Selbst-, Nächsten-) Liebe, jemandem ein Ü. um des Ü.s willen anzutun (nur, um leiden zu machen); ein solches Verhalten ist Ausdruck erschreckender Lieblosigkeit (Grausamkeit), die nicht selten krankhaften Ursprungs sein mag. Wenn man aber darauf achtet, daß Leiden zur Besinnung bringen u. zur Reifung beitragen können, erscheint es nicht unter allen Umständen als unzulässig, ein physisches Ü. in Hinordnung auf eine gute Wirkung absichtl. (direkt) auf sich zu nehmen od. für andere zu verursachen (etwa in Form der Strafe). Eher noch kann es vertretbar sein, ein Ü. indirekt (vorausgesehen, aber unbeabsichtigt) heraufzubeschwören (vgl. Handlung mit zweierlei Wirkung).

Nicht leicht ist manchmal die Frage zu beantworten, wo die Grenze zw. nicht sündhaftem u. sündhaftem (gegen den Auftrag der Liebe verstoßendem) Verursachen physischen Ü.s liegt. Das Verursachen manchen Ü.s kann in einem Fall zulässig, in einem anderen Fall Sünde sein; solange ein derartiges Verursachen in gewisser Abstraktheit (ohne nähere Umstände) betrachtet wird, kann man es in dem Sinn als vormoralisches Ü. bezeichnen, daß es seiner ganzen Beschaffenheit nach unter bestimmten Voraussetzungen zum moralischen Ü. werden kann (vgl. Qualifizierung, sittl., eines Verhaltens).


3. Das moralische Ü. ist gleichbedeutend mit der (formalen) Sünde in der inneren Entscheidung gegen das sittl. Gute (den sittl. Wert; die Liebe; Gott), in entsprechendem Verhalten, in der bösen Gewohnheit (Laster). Zur sittl. Aufgabe des Menschen gehört es nicht nur, selbst die Sünde zu meiden u. zu überwinden, sondern auch, anderen dazu nicht Anlaß zu geben (Verführung, Gelegenheit, Ärgernis, Mithilfe) od. ihnen aus ihr herauszuhelfen.


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