Handlung mit zweierlei Wirkung
Karl Hörmann
Lexikon der christlichen Moral

LChM 1976, Sp. 783-789


I. Der objektive sittl. Gehalt eines Tuns hängt weitgehend von dessen naturgemäßer Wirkung (auf die es seiner Beschaffenheit nach hinzielt) ab (effectus od. finis naturalis; finis operis = Werkziel; vgl. Qualifizierung des sittl. Aktes). Diese Wirkung ist zwar vom Kern (der Substanz, dem Objekt) der Handlung selbst dem physischen Bestand nach verschieden, unter sittl. Gesichtspunkt bilden beide aber eine Einheit (vgl. Thomas v. Aq., S.Th. 1,2 q.18 a.2 ad 3; q.73 a.8; 2,2 q.11 a.1 ad 2).

Somit ist eine Handlung, die ihrer Natur nach eine gute Wirkung hervorbringt (eine solche, die gemäß der sittl. Ordnung erstrebt werden darf u. soll), gut (Almosengeben ist objektiv gut, weil seine naturgemäße Wirkung die von der Liebe geforderte Behebung der Not des Mitmenschen ist); wenn das Wollen sich auf eine solche Handlung mit ihrer naturgemäßen Wirkung hinrichtet, wird es durch sie gut. Eine Handlung, die ihrer Natur nach zunächst eine verderbl. Wirkung hat (eine solche, die gemäß der sittl. Ordnung nicht erstrebt werden darf), ist böse (die Verabreichung von Gift an einen schuldlosen Menschen führt naturgemäß zu seinem Tod, ist daher böse); wenn sich jemand trotz des Wissens um ihren Charakter zu ihr entschließt, wird sein Wollen dadurch böse.


II. Viele Handlungen können ihrer Beschaffenheit nach zweierlei Wirkungen haben (actio cum duplici effectu), gute u. böse (solche die man gemäß der sittl. Ordnung erstreben darf, u. solche, die man nicht erstreben darf; die Verabreichung von Morphium an einen Kranken kann ihm Schmerzen lindern, aber auch zu seinem Süchtigwerden beitragen); übrigens gibt es auch Unterlassungen, die gute u. böse Wirkungen hervorbringen können (wenn der Arzt dem Kranken kein schmerzstillendes Mittel gibt, bewahrt er ihn vor dem Süchtigwerden, überläßt er ihn aber auch seinen Schmerzen). Die Frage ist, ob das Wollen eines Menschen, der sich im Wissen um die Möglichkeit einer bösen Wirkung zu einer solchen Handlung (Unterlassung) entschließt, auf jeden Fall böse wird; ob also der Mensch verpflichtet ist, solche Handlungen (Unterlassungen) auf jeden Fall zu vermeiden; od. ob die Entscheidung für sie vertretbar sein kann.


Zunächst: Man kann solche Handlungen (Unterlassungen) gar nicht durchgängig vermeiden; man dürfte sonst überhaupt nichts mehr tun. Bei jeder noch so guten Handlung läßt sich ja eine böse Wirkung denken ("Wirkung" im weiteren Sinn verstanden, also nicht nur das, was durch positiven Einfluß der Handlung enststeht, sondern auch das, was sich bloß aus ihrem Anlaß einstellt; wenn jemand einem Armen Almosen gibt, kann sich in einem Dritten der Neid rühren).

Die Tatsache, daß der Mensch die H. m. z. W. gar nicht immer meiden kann, läßt vermuten, daß er durch sie auch nicht immer schuldig wird. Für das Nichtschuldigwerden kommt es darauf an, daß sich der Wille bei seinem Entscheid ausschließl. auf die gute Wirkung einstellt u. für ihn daher die Handlung nur in ihrem guten Charakter maßgebend wird, näml. soweit sie geeignet ist, die gute Wirkung hervorzubringen.

Das trifft nicht zu, wenn jemand die böse Wirkung erstrebt (diese selbst ist für ihn Willensziel = voluntarium in se) u. desh. die Handlung setzt (der Arzt gibt dem Kranken Morphium, um ihn süchtig zu machen) od. unterläßt (der Arzt gibt dem Kranken kein schmerzstillendes Mittel, um ihn leiden zu lassen). In einem solchen Fall wird von der erstrebten bösen Wirkung her das Wollen böse. Die Handlung selbst wird damit für den Willen in ihrem bösen Charakter maßgebend, nämlich insofern sie geeignet ist, eine böse Wirkung hervorzubringen. Es kann nie zulässig sein, eine H. m. z. W. um der bösen Wirkung willen zu wollen. Wer in dieser Einstellung eine böse Wirkung herbeiführt, dem muß diese angerechnet werden.

Anders jedoch, wenn jemand durch eine solche H. (Unterlassung) m. z. W. nicht die böse Wirkung, um deren mögl. od. wahrscheinl. od. sogar sicheren Eintritt er weiß, herbeiführen will, sondern eine gute Wirkung (der Arzt gibt Morphium, nicht um den Kranken süchtig zu machen, sondern um ihm die Schmerzen zu lindern; er unterläßt die Verabreichung eines schmerzstillenden Mittels, nicht um den Kranken den Schmerzen zu überlassen, sondern um ihn vor dem Süchtigwerden zu bewahren). Von der angestrebten guten Wirkung her wird sein Wollen im guten Sinn beeinflußt.

Die böse Wirkung wird in diesem Fall zwar nicht in sich gewollt, wird aber als mögl. od. wahrscheinl. od. sichere Folge der Handlung, die man setzt, vorausgesehen (nicht sie selbst, wohl aber ihre Ursache ist Willensziel = voluntarium in causa). Das Wollen wird durch die Bejahung einer solchen Ursache nicht böse, wenn die böse Wirkung in keiner Weise mitbejaht, sondern rein zugelassen wird. Die Handlung selbst wird in diesem Fall nur in ihrem guten Gehalt gewollt, näml. insofern sie geeignet ist, Gutes hervorzubringen. - Augustinus setzt sich dafür ein, daß man Gutes wirke, auch wen sich dabei unbeabsichtigt böse Nebenwirkungen einstellen (Ep. 153,6/17 f; PL 33,661). "Es steht nichts im Wege, daß ein u. dieselbe Handlung zwei Wirkungen hat, von denen die eine beabsichtigt ist, während die andere außerh. der Absicht liegt. Die sittl. Handlungen aber empfangen ihre Eigenart von dem, was beabsichtigt ist, nicht aber von dem was außerh. der Absicht liegt, da es zufällig ist" (Thomas v. Aq., S.Th. 2,2 q.64 a.7).


Dieses reine Zulassen der bösen Wirkung läßt sich nur unter bestimmten Voraussetzungen verwirklichen:


1. Aus der Handlung darf sich nicht zuerst die böse Wirkung (d.h. ein Übel, das nach der sittl. Ordnung auf keinen Fall erstrebt werden darf) u. aus ihr die angestrebte gute Wirkung ergeben. Wenn es so wäre, stünden böse u. gute Wirkung zueinander im Verhältnis von Mittel- u. Endziel (jemand begeht unter dem Anschein eines Unfalles Selbstmord, um seinen notleidenden Angehörigen zum Genuß einer Lebensversicherung zu verhelfen). Der Wille, der das gute Endziel wollte, müßte das böse Mittelziel mitwollen u. würde dadurch böse. Man würde nach dem abzulehnenden Satz vorgehen: Das gute Ziel heiligt das böse Mittel (vgl. Qualifizierung des sittl. Aktes). Daß sich das Wollen von der Einstellung auf die böse Wirkung ganz frei hält, ist nur mögl., a) wenn die angestrebte gute Wirkung u. die nicht angestrebte böse Wirkung aus der Handlung gleich unmittelbar eintreten (der Arzt gibt dem Kranken Morphium zur Schmerzlinderung, bei öfterer Wiederholung wird der Kranke süchtig; die Schmerzstillung ergibt sich nicht aus dem Süchtigwerden, beide Wirkungen treten vielmehr nebeneinander ein) od. b) wenn die nicht angestrebte böse Wirkung aus der angestrebten guten entspringt (jemand rettet einen Menschen vor dem Tod, wobei er fürchtet, der Gerettete könnte zum Verbrecher werden).


2. Die beabsichtigte gute Wirkung muß im Vergleich mit der nicht beabsichtigten bösen überwiegen. Psycholog. wäre es schwierig, beim Wollen einer Handlung, die ihrer Natur nach überwiegend auf eine böse Wirkung hinzielt, nicht von dieser bösen Wirkung etwas mitzuwollen; mit anderen Worten, das Zulassen der bösen Wirkung kann nur dann verantwortet u. die böse Wirkung muß nur dann nicht angerechnet werden, wenn es dem Willen infolge des Überwiegens der guten Wirkung mögl. ist, sich ganz auf diese u. in keiner Weise auf die böse Wirkung einzustellen. Dieses Überwiegen ist manchmal offenkundig (z.B. bei einer lebensrettenden Operation, die nur geringe Schmerzen verursacht), kann manchmal aber nur durch sorgfältige Abschätzung festgestellt werden. Dabei ist zu beachten: Die gute Wirkung muß, um überwiegen zu können, umso beachtlicher sein, a) je schwerer das aufzuwiegende Übel ist, b) je näher die Handlung zur Bewirkung des Übels beiträgt, c) je gewisser der Eintritt der bösen Wirkung vorausgesehen wird, d) je mehr man zu Verhinderung des Übels in besonderer Weise verpflichtet ist, e) je sicherer es durch Unterlassung der Handlung verhindert werden kann.

Der Wille des Menschen wird durch das Erwählen einer H. m. z. W. böse, wenn sich das Wollen auf die böse Wirkung erstreckt. Das geschieht nicht nur dann, wenn die böse Wirkung selbst als End- od. Mittelziel angestrebt wird, sondern schon dann, wenn die H. m. z. W. ohne rechtfertigenden Grund gesetzt wird, näml. nicht auf eine im Verhältnis zum drohenden Übel entsprechend wichtige gute Wirkung hin. Das Wollen des Menschen bejaht in diesem Fall wenigstens so weit die böse Wirkung, als der Mensch sich ungerechtfertigt entschließt, sie mit in Kauf zu nehmen; sie muß ihm daher angerechnet werden.


Somit ergibt sich, daß eine Handlung mit vorausgesehener böser Wirkung gesetzt werden darf, wenn die böse Wirkung in keiner Weise beabsichtigt, sondern nur zugelassen wird; wenn also die böse Wirkung eine derartige Stellung einnimmt, daß der Wille ihre Ursache wollen kann, ohne die böse Wirkung mitzuwollen. Das ist der Fall, wenn die gute Wirkung nicht aus der bösen hervorgeht u. wenn die böse Wirkung nicht über die gute das Übergewicht hat.


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