Furcht, I. u. II.
Karl Hörmann
Lexikon der christlichen Moral

LChM 1969, Sp. 407-411


I. Wenn der Mensch sich selbst od. mit ihm verbundene Personen v. einem (physischen) Übel bedroht sieht, das er gern abwenden möchte, ohne einen Weg dazu zu sehen, befällt ihn eine bedrängende Unruhe, die man F. (lat. metus) nennt (vgl. Aristoteles, Rhetor. II 5; Ulpian, Ad edict. Praet. I 4,2). Dieses Geschehen kann verschiedene Ausmaße annehmen: Es kann sich z.B. im engen Interessenbereich der Sinnlichkeit im Zusammenhang mit einem durch sinnl. Erkenntnis erfaßten sinnl. Übel abspielen (timor); es kann durch ein geistig erkanntes Übel hervorgerufen werden, das die gesamtmenschl. Interessen bedroht u. den Menschen in seiner Ganzheit erfaßt. Für gewöhnl. durchdringt das Unbehagen der F. alle Seelenschichten. Aus diesem Unbehagen heraus strebt der Mensch vom Übel weg u. sucht nach Mitteln u. Wegen, ihm zu entgehen, unter Umständen auch unter Hinnehmen eines kleineren Übels. Gemeistert wird die F. vom Geistigen her, v. der Vernunft, die die geeigneten Wege aufzeigt, u. vom Willen, der sich für sie entscheidet.


II. F. hat an sich keinen sittl. Charakter, da sie sich auf die Erkenntnis eines drohenden Übels unwillkürl. einstellt. Sie kann aber den Willen in seiner Entscheidung beeinflussen. Es kann sein, daß der Wille die F. überwindet u. die Entscheidung in der der F. entgegengesetzten Richtung trifft (Handeln cum metu, d.h. trotz der F.); die F. veranlaßt in diesem Fall einen stärkeren Einsatz des Willens, mit dem sich auch die Anrechenbarkeit des daraus entspringenden Handelns erhöht. Es kann auch sein, daß sich der Wille v. der F. zu einer Entscheidung bestimmen läßt, die er sonst nicht getroffen hätte; dieses Handeln aus F. (ex metu) soll unter sittl. Gesichtspunkt näher geprüft werden.


1. Achten wir zunächst auf die Entscheidung, die aus schwerer F. (vor einem schweren Übel, das nur schwierig abgewendet werden kann) getroffen wird. Wenn der Mensch, der sich fürchtet, überlegen kann, wie er dem Übel entgehen könnte, u. sich dann für einen geeignet scheinenden Weg entscheidet, geht die Entscheidung aus seinem Willen hervor. Ohne Zutun des Willens ist allerdings die Situation da, in der der Wille seine Entscheidung trifft; der Wille würde sogar diese Situation wegwünschen (vgl. Thomas v. A., S.Th. 1,2 q.6 a.6; Augustinus, De spir. et litt. 31,53, PL 44,234). Nur dann, wenn das drohende Übel im Geist des Menschen eine derartige Unruhe u. Verwirrung hervorruft, daß er keiner vernünftigen Überlegung mehr fähig ist u. unüberlegte Angsthandlungen setzt, kann v. einer Willentlichkeit dieses Tuns keine Rede mehr sein.

Da die F. gewöhnl. die Willentlichkeit nicht aufhebt, entschuldigt sie nicht v. der Sünde, nimmt anderseits auch nicht das Verdienst einer guten Handlung. Immerhin ist zu berücksichtigen, daß es dem Willen schwerfällt, sich anders als in der v. der F. angezeigten Richtung zu entscheiden. Ambrosius beurteilt die Sünde, die Petrus durch die Verleugnung Christi beging, milder als die Sünde Adams, weil Petrus unter F. stand (Expos. ev. sec. Luc. X 75, PL 15,1915). Während schwere F. v. der Verpflichtung auf ein bloß menschl. Gesetz entbinden kann (heroische Akte werden durch das menschl. Gesetz für gewöhnl. nicht vorgeschrieben), gibt sie nie das Recht, eine wegen ihrer Schlechtigkeit vom (natürl. od. positiven) göttl. Gesetz verbotene Handlung zu setzen (vgl. CICc. 2205 §§2.3).

Wegen der Willentlichkeit, die auch einer aus F. getroffenen Entscheidung noch eignet, entbindet schwere F. im allg. nicht v. Verpflichtungen, die man sich ihretwegen aufgeladen hat (vgl. CICc. 103 § 2; c.1317 § 2). Es kann aber sein, daß eine so geschaffene Verpflichtung für einen bestimmten Menschen nicht das gemäß seiner Situation Richtige trifft. Die Kirche gibt daher für ihren Bereich die Möglichkeit, daß eine solche Verpflichtung durch den kirchl. Richter aufgehoben werde (CICc. 103 § 2), daß im besonderen v. der Verpflichtung aus einem Versprechenseid, der mit schwerer F. erpreßt wurde, durch den kirchl. Oberen entbunden werde (c.1317 § 2); daß ein Kleriker, der beweisen kann, unter schwerer F. eine höhere Weihe empfangen u. sich nicht nachher aus eig enem Entscheid zu ihr bekannt zu haben, in den Laienstand zurückversetzt werde, ohne an den Zölibat u. das Breviergebet gebunden zu sein (c.214 § 1). Die Kirche tut sogar noch einen Schritt weiter: Sie erklärt einzelne Akte v. vornherein für ungültig, wenn die schwere F., aus der heraus sie gesetzt werden, mit ungerechten Mitteln (zu denen die die F. erregende Person kein Recht hat) verursacht wurde; näml. den Abschluß einer Ehe (c.1087 § 1), die Zulassung zum Noviziat einer Ordensgemeinschaft (c.542 n.1), Ordensgelübde (c.572 § 1 n.4), ein sonstiges Gelübde (c.1307 § 3), den Verzicht auf ein Amt (c.185).


2. Leichte F. (vor einem Übel, das leicht ist od. leicht abgewandt werden kann) mindert Willentlichkeit u. Anrechenbarkeit je nach ihrem die freie Entscheidung erschwerenden Einfluß auf den Willen. Im äußeren Rechtsbereich wird sie freil. nicht beachtet.


Zurück zum Index